Wir treiben uns gerade in Kalabrien rum. Einiges haben wir über die Nˋdranghetta, die mächtige Mafia in diesem Teil des Landes, gehört und gelesen, keine Dinge, die uns kalt lassen. Mit einem Radfahrer haben wir uns unterhalten, der sehr negativ gestimmt war, was Kalabrien und die Menschen hier angeht. Er beschrieb sie als abweisend und in sich gekehrt.
Wir aber erleben ganz wunderschöne Momente mit aufgeschlossenen und freundlichen Menschen. Wir sind in Crotone, der Stadt, die zur am wenigsten lebenswerten Stadt Italiens gewählt wurde: krasse Giftmüllskandale, organisierte Kriminalität, Arbeitslosigkeit bei ca. 30%, Jugendarbeitslosigkeit über 60%. Schlimm, denken wir. Dann werden wir von ein paar Einheimischen, die vor dem kleinen Laden in dem wir einkaufen stehen, angesprochen, trinken mit ihnen Ciró (den hiesigen Wein) und lernen sehr liebenswerte Leute kennen. Ein Fischer (arbeitslos), ein Koch und ein arbeitsloser Orgelbauer. Dieser war einige Zeit in Deutschland, was 20 Jahre her ist und nun kramt er seine Sprachkenntnisse zusammen. Am Ende trinken wir alle gemeinsam vor dem Laden, unterhalten uns intensiv in einem wilden Sprachgemisch und verstehen uns blendend.

Am nächsten Tag strampeln wir einen Berg hinauf. Endlich oben angekommen halten wir an, um die Aussicht zu bewundern. Ein Bauer kommt mit seinem Trecker daher, hält ebenfalls an und fragt uns aus. Offenbar hält er uns für merkwürdige Menschen, da wir so lange mit dem Rad unterwegs sind und schenkt uns eine Orange aus seinem Garten. Am Nachmittag essen wir in einer Trattoria, auch hier werden wir ausgefragt. Einfach so bekommen wir eine Flasche Wein geschenkt. Wir bedanken uns mit einer Musikvorstellung: eine Pizzicata, die uns in Sternatia empfohlen wurde. Die ganze Familie wird zusammen getrommelt, es wird gefilmt und die Nonna hat Tränen der Rührung in den Augen.




Nach vielen schönen und erstaunlichen Eindrücken entlang der ionischen Küste, also der Fußsohle des italienischen Stiefels, kommen wir in Catanzaro-Lido an. Unsere Reisezeit (der erste Teil des Sabbatjahres) geht jetzt zu Ende, Weihnachten wollen wir in Deutschland mit unserer Familie verbringen. Also müssen wir jetzt ein wenig planen wo wir wann wie hin wollen, damit wir dann auch passend Züge und Schiffe buchen können. Wir finden, dass es genug kalabrische Küste war und wollen noch ein wenig in Sizilien in die Pedale treten.
Das letzte Stück Weg auf dem Festland, bis nach Reggio Calabria von wo aus wir mit der Fähre nach Sizilien übersetzen können, wollen wir deshalb mit der Bahn abkürzen. So denken wir uns das. Der Ticketverkäufer bei der italienischen Bahn macht unsere Ideen mit einem Schlag zunichte: Nein, das Fahrrad kann so nicht mitgenommen werden. Das geht nur in einem Zug, der ein Radabteil hat und welcher Zug das ist, läßt sich im Voraus nicht sagen, heute und morgen wäre jedenfalls keine Möglichkeit für uns. Wann dann? Darüber gibt es keine Auskunft, da niemand genau weiß , wann das Radabteil angehängt wird. Wir wissen nicht genau, ob das die wirkliche Erklärung ist, oder ob die Sprachbarriere „stille Post“ gespielt hat, jedenfalls kriegen wir kein Ticket für uns und die Räder. Die Stimmung ist im Keller.
Wir hängen ratlos am Bahnhof rum und wissen nicht so genau wie wir weitermachen sollen. Busse nehmen uns und die Räder nur mit, wenn Platz da ist und der Fahrer wohlgesonnen, und der letzte Bus nach Reggio Calabria ist uns ohnehin gerade vor der Nase davon gefahren. Doof! Da werden wir von einem Polizisten angesprochen, oh nein, was denn jetzt noch, denken wir. Der Carabiniere erkundigt sich nach dem Woher und Wohin und ist sehr interessiert, er ist selber Radfahrer. Wir berichten von unserem Problem, er versteht die Lage und sagt, wir sollen warten, er erkundige sich. Nach einer langen Weile kehrt er zu uns zurück. Ein Zug fährt in zwei Stunden nach Reggio Calabria, da könnten vielleicht, wenn der Schaffner einverstanden sei, die Räder eventuell mit hinein, so denn ein Platz dafür gefunden werden könne, Tickets für uns sollen wir aber schon mal besorgen … Aha! Das ist immerhin ein Hoffnungsschimmer und eine andere Idee haben wir grade auch nicht, also hängen wir noch zwei Stunden auf dem Bahnhof rum.
Der Zug kommt, ähnlich wie in Deutschland kommt er zu einer anderen Zeit und auf einem anderen Gleis an. Der Schaffner wird gefragt und ist ein sehr freundlicher Mann, ja, die Räder und wir dürfen mit. Zwar müssen wir die Räder zwischen den Sitzen hindurch in eine Ecke quetschen, aber es passt. Eine Karte für die Räder muss auch noch gekauft werden, das ging nicht vorher…. Der Schaffner kommt mit und erledigt das flott am Automaten.




Wir sinken erleichtert und durchgeschwitzt in die Sitze, da kommt der nette Polizist wieder, will unsere Pässe sehen und verschwindet damit, warum wissen wir nicht. Er kommt mit den Pässen wieder zurück und hat einen Kollegen dabei. Dieser fährt im Zug mit, um von weiteren Personen die Pässe zu kontrollieren, kommt aber an markanten Stellen zu uns, um uns auf die Sehenswürdigkeiten, die wir passieren, hinzuweisen. Wir sind erstaunt ob dieser vielseitigen Aufgabenfelder der hiesigen Polizei: Passkontrolle, Schaffnerflüsterer und Fremdenführer.
Gut, dass Ihr mich jetzt nicht sehen könnt, so grün vor Neid! Sie sind so liebenswert, die Italiener! Ich liebe dieses Land! Buon divertimento in Sicilia! Non vedo l’ora di rivedervi per Natale!
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Ihr Glückskinder! Die geborenen Rattenfänger zu Hameln, egal wann, wie und wo euch Menschen begegnen!
Aber auch, weil ihr bewusst, klug gehandelt und so lange auf das Sabbatjahr hingearbeitet habt!
Toll!
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Tolll, toller, noch toller! Bei euch gibt es keine Probleme – sondern Lösungen – ergeben sich! Bei euren vielfältigen Erlebnissen jeglicher Art bekomme ich auch Lust auf ein Sabbatjahr – habe aber keinen Dienstherren mehr, bei dem ich das beantragen kann!!😜Also warte ich auf Italien 5 und wünsche euch bis dahin weiterhin viele so tolle Kontakte und
igSaR
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